„Ich schicke dir eine WhatsApp“. Jeder versteht, was damit gemeint ist. Man geht davon aus, dass jedermann auf dieser Plattform zu Hause ist. Weil das so ist und weil Abermillionen Menschen jeden Tag ihre Finger über die Smartphone-Screens gleiten lassen, hat sich ein neues Krankheitsbild etabliert: die „WhatsAppitis“. 

Nachdem Lena am 24. Dezember arbeiten musste, konnte sie erst am Folgetag ihre empfangenen Nachrichten zum Fest beantworten – und tat das mindestens SECHS Stunden lang über den beliebten Online-Messaging-Dienst. Am folgenden Morgen wachte sie plötzlich mit heftigen Schmerzen auf. Gelitten haben bei ihr nur die Daumen – jedoch so sehr, dass sie entzündungshemmende Medikamente nehmen musste und vom Arzt ein Handyverbot auferlegt bekam.

Handy-Daumen

In Deutschland wird inzwischen deswegen vom „Handy-Daumen“ gesprochen, in englischsprachigen Ländern von „WhatsAppitis“ oder „WhatsApp Disease“. Das Smartphone hat der Welt somit eine neue „orthopädische“ Zivilisationskrankheit gebracht. „Beim einhändigen Bedienen des Smartphones wird der Daumen überbeansprucht“, so Prof. Dr. Stefan Langer vom Universitätsklinikum Leipzig. „Das verstärkt sich mit zunehmender Größe der Handy-Displays – und mit dem Drang, ununterbrochen in den sozialen Netzen unterwegs zu sein.“

Das eigentliche Problem

Das eigentliche „Leiden“ liegt aber tiefer. WhatsAppitis hat auch eine psychologische Dimension. Diese hat etwas mit Sucht zu tun. Smartphones sind – vor allem bei jungen Leuten – zu einem herausragenden Bestandteil des Lebens geworden. Sollten Sie sich häufig in öffentlichen Verkehrsmitteln aufhalten, können Sie bestätigen, dass eine Vielzahl von Menschen – vor allem junge – unentwegt auf die Smartphone-Bildschirme starren und kaum noch von „Auge zu Auge“ kommunizieren. 

Nicht nur bei Jugendlichen geht das so weit, dass selbst der Umgang mit beieinander sitzenden Freunden über das Smartphone erfolgt. Eine absurde Haltung, die im Pixar-Film WALLe aufs Korn genommen wird. Dort liegen die Menschen in Schalen und kommunizieren nur noch über vor den Augen positionierte Tabletts.

Nomophobie

In Bezug auf das „permanente erreichbar sein wollen“ hat sich eine weitere – psychische –  Krankheit etabliert: die Nomophobie (englisch Nomophobia). Das ist ein Kunstwort aus dem englischsprachigen Raum für „No-Mobile-Phone-Phobia“, wörtlich „Keine-Mobiltelefon-Angst“. Man kann es kaum glauben: aber gemäß einem Bericht in der Psychology Today schliefen schon 2014 zwei Drittel der befragten Nutzer neben dem Mobiltelefon und mehr als die Hälfte könne es nicht einmal ausschalten. Eine Erhebung ergab darüber hinaus, dass 66 Prozent der US-amerikanischen Mobiltelefonnutzer unter Nomophobie litten.

Die typischen Symptome sind: Ängste, depressive Stimmungen oder Nervosität, die durch eine ungewollte Handy-Abstinenz hervorgerufen werden – Stress, Schweißausbrüche, Zittern, Herzklopfen oder Panik im Falle einer Unerreichbarkeit bzw. eines ausgeschalteten Mobiltelefons. Um den Verlust der Erreichbarkeit zu vermeiden, tendieren Nomophobiker dazu, ihr Mobiltelefon gar nicht erst auszuschalten, es nah bei sich zu tragen oder gar ein zweites Telefon anzuschaffen. Übrigens: Prüfen Sie sich einmal selbst: wie reagieren Sie, wenn Sie Ihr Smartphone nicht gleich finden? 

Innere Stärke entwickeln

Wie bei vielen anderen „Instrumenten“, die der menschliche Erfindergeist hervorgebracht hat, liegt es an uns, sie in rechter Weise zu nutzen. Technik ist ambivalent: sie hat das Potential, dem Menschen zu dienen – oder aber auch, ihn zu versklaven. Deshalb ist es wichtig, vor allem jungen Menschen dabei zu helfen, mit den modernen Kommunikations- und Informationsinstrumenten verantwortlich umzugehen. Andernfalls bewirken sie genau das Gegenteil: die zwischenmenschliche Kommunikation erleidet schweren Schaden.

Vor allem das permanente Gefühl, etwas zu verpassen, ist der Kerngrund für das Kleben am Handy. Dabei sind die meisten Informationen im ständig laufenden Nachrichtenstrom völlig banal und unbedeutend: „ich gehe jetzt aus dem Haus“, „meine Katze ist krank“, „Borussia Dortmund gefällt mir“ …

Es ist entscheidend, die Anziehungskraft der Geräte zu beherrschen. Das ist eine Sache von Einüben innerer Haltungen, Tugenden, die ohne die Eigenständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung nicht möglich sind. Schule und Eltern sind hier gefragt. Da gibt es oft leider wenig Problembewusstsein. So ist beispielsweise eine Initiative von Informatik-Studenten der TU Berlin, Eltern über die Gefahren von Computerspielen und Handy-Sucht zu informieren, am mangelnden Interesse gescheitert. 

Was kann man konkret tun?

Bei Phobien setzen Psychiater oftmals auf Konfrontationen mit der gefürchteten Situation. Es empfiehlt sich daher, sich der medialen Unerreichbarkeit zu stellen und das Smartphone täglich zu festgelegten Zeiten auszuschalten. So können Betroffene erfahren, dass ein Leben ohne Smartphone durchaus möglich ist. Auch diejenigen, die uns „An-WhatsAppen“, sollen so erfahren, dass wir nicht auf jede Nachricht unmittelbar reagieren. 

Regeln zu Hause

Besonders beim Essen oder im Büro sollte das Mobiltelefon nicht auf den Tisch gelegt werden. Bei Kindern und Jugendlichen empfiehlt sich die Festlegung von klaren Regeln zum häuslichen Gebrauch der Smartphones. In der Familie von Steve Jobs (dem „Vater“ des Smartphones) war übrigens der Handygebrauch klar reglementiert. Am besten ist es natürlich, wenn Eltern und Kinder diese Regeln gemeinsam beschließen. Ja, Eltern müssen Vorbild sein. Wenn sie ihren Kindern Verbote auferlegen und sich selbst ungehemmt verhalten, ist das zutiefst kontraproduktiv.

Schon mit solch einfachen Maßnahmen kann der ständige Blick auf das Gerät vermieden werden und auch die Anspannung, die durch das Handy verursacht wird, kann so mit der Zeit nachlassen.

Mittlerweile gibt es Suchteinrichtungen, die auf die Behandlung von Computer- und Handysucht spezialisiert sind und auch Nomophobie therapieren. Dort werden beispielsweise Verhaltensmuster erlernt, die den Blick aufs Smartphone ersetzen. (Mehr zum Thema: Nomophobie: Was steckt dahinter?).

Albert Einstein hat einmal gesagt: „Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technik unsere menschliche Interaktion übertrifft. Es wird dann eine Generation von Idioten geben.“ 

Das wollen wir doch nicht …